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moskauer tagebuch (2)
18.März 1998: Walzer auf dem Roten Platz
Einem ganz normalen Tag mit Uni, Einkaufen, und Herumwirbeln
in der Obscheschitje folgte einer der schönsten Abende
meines Lebens:
Zunächst fährt eine recht große Gruppe (Isa,
Bine, Berni, Nora, Leila, Pia, Arne, Diego, Estelle und ich)
zum Konzertsaal bei "Majakovskaja".
Dort gibt´s erst einige recht gute "normale"
klassische Stücke.
Dann das Finale: Bolero vom Feinsten.
Es beginnt so leise, kommt näher, wird lauter, fängt
einen ein, nimmt einen gefangen, reißt einen mit und explodiert
förmlich im Finale. Gigantisch!!!
Alle sind vollkommen aufgelöst. Zugleich gefangen und befreit.
Einigen Damen und auch einem der Herren laufen sogar Tränen
über die Backen.
Draußen auf den kalten Straßen Moskaus kühlen
wir langsam wieder ab und fühlen uns wieder dieser Welt
zugehörig.
Mit dem "Runterkommen" kommt auch der Hunger. Also
treffen wir noch Angi und ein paar Freunde von Isabell, um gemeinsam
die Salat-Bar vom "Patio Pizza" zu stürmen. Beim
Essen wird viel russisch geredet, gut für mich, obwohl
ich nahezu nichts verstehe.
Komischerweise verschwinden nach und nach alle, bis schließlich
nur noch Berni, Sabine, Alexej und ich übrig sind. Wir
reden über Moskau, Musik, Geburtstage,
Gott und die Welt; aber jetzt werden die Stühle auf die
Tische gestellt. Während Steve Wonder "I just called"
singt, gehen wir aus dem Lokal mit dem Ziel: Roter Platz.
Es ist klirrend kalt, der Wind pfeift und eisige Schneeflocken
kleben an meinen Wimpern. Sie kitzeln und pieken mich in der
Nase und auf den Backen, die einzigen Stellen meines Gesichtes,
die nicht dick in meinen Schal gewickelt sind.
Der Platz ist etwas beleuchtet, so dass man sich, obwohl es
mitten in der Nacht und der Himmel schwarz ist, von der Basilius
Kathedrale, dem Kreml und dem GUM schützend umgeben fühlt.
Trotz dem Schal tut die Kälte ziemlich am Kopf weh. Auch
meine Beine - nur durch eine Jeans von den fast -20°C getrennt
- fühlen sich inzwischen an wie Eiszapfen.
Aber was ist schöner, was bitte ist traumhafter, als nach
Mitternacht im Schneetreiben auf dem Roten Platz Walzer zu tanzen?
Es ist so atemberaubend schön, dass mir schon zum zweiten
Mal an diesem Abend Tränen der Freude übers Gesicht
laufen.
Ich liebe Moskau.
polilla mar98
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